Théodore Géricault

 

Émile Jean-Horace Vernet, Théodore Géricault, um 1822–1823, Öl auf Leinwand, 47,3 x 38,4 cm, The Met Fifth Avenue, New York, Wikimedia

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Jean-Louis André Théodore Géricault wurde am 26. September 1791 als Sohn wohlhabender Eltern in Rouen geboren und lernte – zunächst heimlich, d. h. ohne das Wissen seines Vaters[1], – in den Ateliers von Carle Vernet und Pierre-Narcisse Guérin. In letzterem begegneten sich Géricault und der berühmte Eugène Delacroix zum ersten Mal im Jahr 1815.[2] Später besuchte Géricault die École des Beaux-Arts[3] und studierte während einer Italienreise die Werke alter Meister, darunter Michelangelos, Caravaggios und Tizians, deren Einflüsse in seinen Bildern in vielfältiger Weise manifest sind.

Aufgrund einer Erbschaft war der Maler pekuniär unabhängig und nicht auf Auftragsarbeiten angewiesen, was ihm die freie Wahl seiner Sujets erlaubte. Als passionierter Reiter favorisierte er so zunächst Pferde- und Reitszenen. Angesichts der auffällig mondänen Eleganz, die seinen Kleidungsstil auszeichnete, aber auch aufgrund der überlieferten Tatsache, dass er sich ehemals dem Militärdienst entzog, wird der Maler von Kunsthistorikern immer wieder als Dandy tituliert.[4]

Im Jahr 1812 debütierte Géricault im Salon mit seinem Gemälde Le Chasseur de la garde. Das Werk, dem eine politische Botschaft immanent ist, zeigt einen Jäger der kaiserlichen Garde zu Pferde. Géricaults politische Ansichten muten auf den ersten Blick äußerst zweispältig an: Während der Restauration trat der Maler, wenngleich er wohl eine „gewisse republikanische Sehnsucht“[5] verspürte, der königlichen Kompanie der Musketiere bei.[6] So war Géricault laut Bruno Chenique bereits seit 1811 ein resoluter Gegner Napoleons.[7] Zugleich war er mit mehreren Mitgliedern der ‚Société de la Morale Chrétienne‘ befreundet[8], einem liberalen Bund, dem ebenfalls Vernet angehörte und der sich unter anderem für die Abschaffung des Sklavenhandels engagierte. Eine Erklärung für diese scheinbare Diskrepanz könnte wie folgt lauten: Nach seiner Selbstkrönung und der von ihm vollzogenen Wiedereinführung der Sklaverei hatte Napoleon die Ideale der Französischen Revolution verraten und dadurch das Missfallen einstiger Anhänger, darunter der Jakobiner, erregt. Vermutlich sah Géricault eine Monarchie unter Ludwig XVIII. lediglich als das geringere Übel an.

In zunehmendem Maße widmete sich Géricault in seinen Bildern fortan dem Topos des Kampfes und menschlichen Schicksalen aller Art. Wie seine Studien guillotinierter Menschen und Stillleben abgetrennter Gliedmaßen demonstrieren, faszinierten ihn darüber hinaus die menschliche Anatomie und der Konnex zwischen Wissenschaft und Kunst. Der Kritiker Bernard Noël betont, dass „Géricaults Morbidität nichts Vulgäres, Krankes oder Anekdotisches anhaftet“[9]. Seine Vorliebe für düstere Sujets entspringe also nicht etwa einer voyeuristischen Faszination, vielmehr gehe es ihm darum, „die stummen Seufzer des Menschseins festzuhalten“[10]. Gregor Wedekind spricht in diesem Zusammenhang auch von einem „tragischen Realismus“[11]. Dabei gelinge es Géricault, selbst „im Toten [noch] das Lebendige“[12] sichtbar zu machen.

Im Jahr 1818 hatte der Maler eine persönliche Kalamität zu bewältigen: Aus seiner Liaison mit Alexandrine-Modeste, der Frau seines Onkels Jean-Baptiste Caruel, ging ein unehelicher Sohn hervor. Das Kind wurde zur Adoption freigegeben[13], worauf sich Géricault in die Arbeit zu seinem heute bekanntesten Werk stürzte: dem Floß der Medusa.

Ein Jahr später avancierte er mit diesem imposanten Gemälde zum Vorreiter der romantischen Schule, denn nicht nur das Sujet, auch die Komposition entsprach nicht den damals vorherrschenden Konventionen und der ästhetischen Norm. Dabei lässt sich Géricaults Kunst „mit den herkömmlichen Stilkategorien nicht erfassen“, wie Hollein und De Zegher es formulieren. Vielmehr nehme sein Werk eine „epochale Zwischenstellung“[14] ein. Offenbar in Bezug auf die eigenen Darstellungen unbändiger Pferde und die im Gegensatz dazu rigiden Ordnungsvorstellungen von Vernets klassizistischem Stil soll Géricault selbst einst geäußert haben: “One of my horses would have devoured six of his.“[15] „[D]as wilde Pferd“ wurde bei ihm zum „Inbegriff animalischer Kraft und Leidenschaft in heroischer Natur“[16] und entsprach damit zweifellos dem romantischen Zeitgeist.

Eine lapidare Beschreibung zum Leben und Schaffen des französischen Malers liefert der Schriftsteller Peter Weiss:

„Was vital in Géricault war, stand auf der Seite der Erneuerung, dies kam in der Wahl seiner Themen zum Ausdruck, in seiner Malweise, im Aufstrich der Farbe, der Behandlung der Formen, sein Leben aber war das eines in die Enge Gedrängten, eingekapselt, der Hass auf die Überheblichkeit, die Eitelkeit der Gesellschaft trieb ihn in den Zusammenbruch. Wenn er sich zuletzt fast ausschließlich in Gefängnissen, Irrenhäusern und Leichenhallen aufhielt, so deshalb, weil er es nur noch zwischen den Ausgestoßenen ertrug.”[17]

Wie WeissSchilderung bereits erahnen lässt, litt Géricault offenbar stark an dem für seine Epoche so charakteristischen Mal du siècle. So schrieb der Künstler zur Zeit des Schöpfungsprozesses von Le Radeau de la Méduse folgende schwermütige Worte: “If there is any certainty on earth, it is our pain. […] [O]nly suffering is real.”[18] Laut Rita Susan Goodman erlitt er im Jahr 1819 einen Nervenzusammenbruch, auf den offenbar zwei Suizidversuche folgten.[19] Darüber hinaus wird Géricault als «extrême et passionné en tout»[20] beschrieben.

Der Maler starb schließlich 1824 im Alter von nur 32 Jahren an den Folgen mehrerer Reitunfälle. Im Jahr 2013 widmete sich die Frankfurter Schirn Kunsthalle dem Oeuvre Géricaults. Dabei trug die in Deutschland erste monographische Ausstellung zu seinem Werk den ausdrucksstarken Titel Bilder auf Leben und Tod.

Literatur: 

[1] Vgl. Hansen, Dorothee; Holsing, Henrike: Vom Klassizismus zum Kubismus. Bestandskatalog der französischen Malerei in der Kunsthalle Bremen. München 2011, S. 69.

[2] Vgl. Chenique, Géricault und Delacroix, S. 100.

[3] Vgl. Hansen, Bestandskatalog, S. 69.

[4] Vgl. Wedekind, Gregor: Kapitel I. Kämpfe. In: Ders.; Hollein, Max (Hgg.): Géricault. Bilder auf Leben und Tod. München 2013. S. 23–39, hier S. 27.

[5] Chenique, Géricault und Delacroix, S. 99.

[6] Vgl. Fornari, Die Grausamkeit des Alltäglichen, S. 157.

[7] Vgl. Chenique, Géricault und Delacroix, S. 99.

[8] Vgl. Snell, Robert: Portraits of the Insane. Theodore Gericault and the Subject of Psychotherapy. London 2017. S. 40.

[9] Zitiert nach: Quétel, Claude: Géricault und die Psychiatrie der Romantik – eine doppelte Begegnung. In: Wedekind, Gregor; Hollein, Max (Hgg.): Géricault. Bilder auf Leben und Tod. München 2013. S. 205–212, hier S. 207.

[10] Zitiert nach: ebd.

[11] Wedekind, Gregor: Widerspiel der Existenz. Théodore Géricaults tragischer Realismus. In: Ders.; Hollein, Max (Hgg.): Géricault. Bilder auf Leben und Tod. München 2013. S. 17–22, hier S. 17.

[12] Thiele, Carmela: Was unter der Haut ist. In: Taz. 2013. https://taz.de/!434106/ (Stand: 02.03.2020).

[13] Vgl. Harrington, Dennis: Saint-Martin, Alexandrine-Modeste de, French 17851875. In: Jiminez, Jill Berk; Banham, Joanna (Hgg.): Dictionary of Artists' Models. New York 2001. S. 484486, hier S. 484.

[14] Wedekind, Gregor: Grußwort. In: Géricault. Bilder auf Leben und Tod. In: Ders.; Hollein, Max (Hgg.): Géricault. Bilder auf Leben und Tod. München 2013. S. 9–12, S. 10.

[15] Borobia, Mar: Théodore Géricault. Madrid. https://www.museothyssen.org/en/collection/artists/gericault-theodore/horse-race (Stand: 01.04.2020).

[16] Hansen, Bestandskatalog, S. 75.

[17] Weiss, Peter: Die Ästhetik des Widerstands. Frankfurt am Main 2016, S. 473.   

[18] Eitner, Lorenz: Géricault's Raft of the Medusa. London 1972, S. 55.

[19] Vgl. Goodman, Rita Susan: Théodore Géricault's portraits of the insane: art, psychiatry and the politics of Philanthropy. Michigan 1996.

[20] Zitiert nach: Miller, Margaret: Géricault's Paintings of the Insane. In: The Warburg Institute (Hg.): Journal of the Warburg and Courtauld Institutes. Vol. 4, No. 3/4 (April 1941–Juli 1942). S. 151–163, S. 162.

Bildquelle:

Émile Jean-Horace Vernet, Théodore Géricault, um 1822–1823, Öl auf Leinwand, 47,3 x 38,4 cm, The Met Fifth Avenue, New York, Quelle: Wikimedia