Das Schreyer-Landauer-Epitaph: Teil 2

 
 

„Josef aus Arimathäa war ein Jünger Jesu, aber aus Furcht vor den Juden nur heimlich. Er bat Pilatus, den Leichnam Jesu abnehmen zu dürfen, und Pilatus erlaubte es. Also kam er und nahm den Leichnam ab.“ (Joh 19,38)

„Es kam auch Nikodemus, der früher einmal Jesus bei Nacht aufgesucht hatte. Er brachte eine Mischung aus Myrrhe und Aloe, etwa hundert Pfund.“ (Joh 19,39)

 

Adam Kraft, Schreyer-Landauer-Epitaph (Gesamtanlage), 1490–1492, Grabskulptur, Reliefplastik aus Sandstein, 2,44 m × 7,11 m, Außenseite des Ostchors von St. Sebald, Nürnberg.          

Die querformatige Mitteltafel wird von einem Ewiglicht in zwei Hälften geteilt. Dabei vereint das Relief zwei differente Szenen aus der Passion: die Rückkehr von der Kreuzigung auf der rechten Reliefhälfte und die Depositio, die Grablegung Christi, auf der linken Hälfte. Segregiert werden die Schauplätze lediglich durch einen Felsen.

Der Hintergrund der rechten Hälfte zeigt die Hinrichtungsstätte auf dem Hügel Golgotha: Eine an einem T-förmigen Kreuz lehnende Leiter, die eigenartig in die Fläche gekippt ist und damit den Effekt der Tiefenwirkung konterkariert, lässt assoziieren, dass der Erlöser eben vom Kreuz genommen wurde. Für zwei weitere Verurteilte scheint sich die Agonie fortzusetzen, denn flankiert werden die leeren Holzbalken von weiteren Kreuzen, an denen noch immer Gemarterte ausharren. Ähnlich wie im Schächer-Fragment des Meisters von Flémalle (um 1430) sind diese mit den Armen nach oben an den Querbalken gebunden sowie an der Fußpartie am Pfahl gefesselt.

 

Adam Kraft, Die Grablegung des Gottessohnes auf der Mitteltafel des Schreyer-Landauer-Epitaphs (die rechte Reliefhälfte: Die Männer mit den Arma Christi), 1490–1492, Grabskulptur, Reliefplastik aus Sandstein, 2,44 m ×  4, 11 m, Außenseite des Ostchors von St. Sebald, Nürnberg.

Adam Kraft, Die Grablegung des Gottessohnes auf der Mitteltafel des Schreyer-Landauer-Epitaphs (die linke Reliefhälfte), 1490–1492, Grabskulptur, Reliefplastik aus Sandstein, 2,44 m × 4, 11 m, Außenseite des Ostchors von St. Sebald, Nürnberg.

Die Spitze eines Menschenzugs, der von der Hinrichtungsstätte in Richtung Tal zieht, bilden zwei ältere Männer, welche die Marterwerkzeuge, die sogenannten Arma Christi, in Händen halten. Die beiden im Vordergrund am rechten Reliefrand positionierten Figuren befinden sich im Gespräch und wechseln ernste Blicke. Das Haupt des langbärtigen im Viertelprofil dargestellten Mannes auf der rechten Seite schmückt eine Mütze mit herabhängender Sendelbinde, in den Händen hält er Christi Dornenkrone und die Kreuzesnägel, während der Begleiter zu seiner Linken mit Pelzmütze, umgehängtem Schnappsack sowie Hammer und Zange einen lockigen Vollbart trägt. Eine invertierte Variante des Paares findet sich im Hintergrund: Hier wird vice versa der Linke im Viertelprofil abgebildet.

Das dominierende Bildelement stellt jedoch der schräg ins Bild gesetzte, in der Aufsicht dargestellte Sarkophag mit ornamentalem Dreipassfries dar, der eine dynamische Linie von links oben nach rechts unten bildet. Durch die eklatante Schrägstellung  des Steinsarges wird der Blick des Betrachters auf die zentrale Szene, die Grablegung, gelenkt. Der nur mit einem Perizonium verhüllte leblose Leib Christi wird, wie im Johannesevangelium geschildert, von seinen beiden heimlichen Jüngern – dem in der linken Reliefhälfte am Kopfende des Leichnams knienden Pharisäer Nikodemus und dem hinter dem Sarkophag stehenden Josef von Arimathäa – in Leinentücher gebunden. Nikodemus, dessen Schopf eine pelzverbrämte Mütze ziert, hebt behutsam den Oberkörper des Heilands, während Josef, mit langem Bart und einer Kopfbedeckung abgebildet, die angewinkelten Beine des Toten hält. Das Haupt des Erlösers ist zur Seite – und damit en face zum Beschauer – gesenkt, wobei die rechte Gesichtshälfte bei frontaler Betrachtung fast bis zur Unkenntlichkeit verschattet wird.

Eine Frau zur Rechten des Nikodemus, in schräger Rückenansicht wiedergegeben, kniet vor dem steinernen Grab unmittelbar neben dem Haupt Christi. In eigentümlich verzerrter Pose hat sie ihren Kopf weit zurück in den Nacken gelegt. Dabei presst sie ihre Lippen hingebungsvoll gegen seine Wange und berührt mit der Rechten zart seine Seitenwunde. Bei dieser weiblichen Rückenfigur könnte es sich um Maria Kleophas, die Mutter von Jakobus, handeln, denn als Mater Dei identifiziert Weilandt bereits eine der Figuren hinter dem Sarg.[1] Wird der Blick noch einmal auf das rechte Relief geworfen, so wird tatsächlich die Affinität in der Physiognomie zwischen der vor Johannes stehenden Frau und der zusammengesunkenen Muttergottes in der Kreuztragung deutlich.

Zur Rechten des Josef von Arimathäa sind schließlich noch drei weitere Figuren anzutreffen: zwei Frauen, von denen sich eine nach hinten abgewendet hat, und hinter ihnen der bartlose Johannes mit Lockenschopf, herabgesenkten Mundwinkeln und vor der Brust gefalteten Händen. Den Kopf in den Nacken gelegt und offenbar auf den Zehenspitzen stehend scheint er sich in der hinteren Reihe eine bessere Sicht auf das Geschehen verschaffen zu wollen. Hinter Johannes ist schließlich noch der Kopf einer unbekannten weiteren Frau zu sehen. Am Fußende hingegen kniet, in ein faltenreich drapiertes Gewand gehüllt, die wehklagende Maria Magdalena. Der zerknitterte Faltenwurf spiegele, so Ulrich Söding, ihre innere Verfassung wider.[2] Schluchzend, mit auf dem Sarkophag ruhendem Haupt ringt Magdalena die Hände. Dabei kommt unter ihrem Kopfputz ein schlaufenförmig um die Ohren gelegter Flechtzopf zum Vorschein.

Hinter der mit flehendem Gestus dargestellten Magdalena steht ein einander zugewandtes und diskurrierendes Figurenpaar. Die Frau zeigt dem Mann ein geöffnetes Salbgefäß, in das dieser frappiert hineinblickt, womit Kraft auf die ungewöhnlich große Menge an Salböl alludiert, die laut Überlieferung beim Begräbnis Jesu verwendet wurde. Im Johannesevangelium ist von 100 Pfund die Rede, was approximativ 33 kg entspricht. Die Szene weckt überdies Assoziationen an die durch Maria Magdalena durchgeführte Salbung von Christi Füßen zu dessen Lebzeiten, als die Apostel über die Verschwendung des teuren Salböls klagten (Matthäus 26, Vers 8). Des Weiteren war der Salbenhandel eine beliebte Szene der zu Fronleichnam aufgeführten Prozessionsspiele. Solche nicht im Neuen Testament direkt geschilderten apokryphen Erzählungen sind für die Zeit der affektiven Frömmigkeit kennzeichnend.

Die in der Grablegung auffallende Staffelung und Überschneidung der Figuren effizieren einen Effekt der Raumtiefe. Sein Relief schuf Kraft dabei in kompositorischer Anlehnung an ein Werk des flämischen Malers Rogier van der Weyden – nicht etwa an der berühmten Kreuzabnahme, sondern, wie bereits Winkler 1913 anmerkt[3], der verschollenen Grabtragung, von der heute lediglich eine Kopie in Form einer Federzeichnung erhalten ist. Hier findet sich ebenfalls das mit Salbgefäß hinter Magdalena platzierte Paar.

Im Vordergrund des Reliefs sind erneut die Stifterfamilien in Form seriell gereihter Adorantenfiguren abgebildet, die auf das Ewiglicht ausgerichtet sind: Die Wappen auf der linken Seite gehören zur Familie Schreyer, jene auf der rechten zur Familie Landauer.[4] Bei dem Schild mit dem Stern und den darüber schräg gekreuzten Bögen handelt es sich um das Wappen Elisabeth Eybs, der ersten Ehefrau Schreyers. Jenes links davon zeigt einen aufrecht auf den Hinterpfoten stehenden Fuchs und ist Schreyers zweiten Frau Genoveva Fuchs zuzuordnen.

Literatur:

[1] Vgl. Weilandt 2002, S. 272.

[2] Vgl. Söding 2002, S. 110.

[3] Vgl. Winkler 1913, S. 81 ff.  

[4] Vgl. Stern 1916, S. 24.

Bildquellen:

Adam Kraft, Schreyer-Landauer-Epitaph (Gesamtanlage), 1490–1492, Grabskulptur, Reliefplastik aus Sandstein, 2,44 m × 7,11 m, Außenseite des Ostchors von St. Sebald, Nürnberg.

Adam Kraft, Die Grablegung des Gottessohnes auf der Mitteltafel des Schreyer-Landauer-Epitaphs (die rechte Reliefhälfte: Die Männer mit den Arma Christi), 1490–1492, Grabskulptur, Reliefplastik aus Sandstein, 2,44 m ×  4, 11 m, Außenseite des Ostchors von St. Sebald, Nürnberg. 

Adam Kraft, Die Grablegung des Gottessohnes auf der Mitteltafel des Schreyer-Landauer-Epitaphs (die linke Reliefhälfte), 1490–1492, Grabskulptur, Reliefplastik aus Sandstein, 2,44 m × 4, 11 m, Außenseite des Ostchors von St. Sebald, Nürnberg.