Die französische Romantik und das Mal du Siècle

 
 

„Le romantisme n’est précisément ni dans le choix des sujets ni dans la vérité exacte, mais dans la manière de sentir.“[1]

(Charles Baudelaire)

 

Théodore Géricault: Scène de Déluge, 1820, Öl auf Leinwand, 97 x 130 cm, Musée du Louvre, Paris, Quelle: Wikimedia, Lizenz: gemeinfrei

Das Ende des 18. Jahrhunderts war eine Zeit des „großen Umsturzes”, in der — wie Bruno Fornari schreibt — „die Grausamkeit zur Normalität geworden ist“[4]. So kam es nach der Französischen Revolution mit der Proklamation von Liberté, Egalité und Fraternité sowie der darauffolgenden Schreckensherrschaft schließlich 1814/1815 zur Restauration, der Wiederherstellung der Bourbonenmonarchie. Eine melancholisch-resignierte Grundstimmung kennzeichnete diese Epoche, ein Lebensgefühl, das von Schwermut, Trostlosigkeit und Orientierungslosigkeit erfüllt war:

Weltschmerz, Melancholie, mal du siècle, male del secolo oder noia und Byronismus sind nur verschiedene Begriffe für das geistige Stigma der Restaurationsepoche, für die die politische Desillusionierung, das geistige Unbefriedigtsein und die existentielle Schwermut im nachrevolutionären Europa […]. Denn der Weltschmerz ist eine Form des individuellen Protestes gegen die erfahrene und erlittene Begrenzung des Lebens, er klagt einen Zustand an, der die Verwirklichung einer autonomen Subjektivität versagt — und das nicht lediglich im Sinne einer abstrakten Verzweiflung oder eines metaphysischen Leidens, sondern ganz real bezogen auf die gesellschaftliche Realität im Europa der Restauration.[5]

Das desolate Lebensgefühl des Weltschmerzes habe — Karin Wozonig zufolge — seinen Ursprung mithin in einer gesellschaftspolitischen Fehlentwicklung. Nachdem in der Restauration die blutig erkämpften liberalen Errungenschaften zum Großteil eliminiert worden waren, erschienen nun alle Bemühungen und jedes Streben vergeblich.

Darüber hinaus handelte es sich um das Zeitalter der industriellen Revolution und des technischen Fortschritts, das von Ideen der Aufklärung und des Kapitalismus geprägt war. Der zunehmend utilitaristischen Bewertung des Menschen, die mit dem Verlust einer ganzheitlichen Weltanschauung einherging, begegneten die Romantiker mit einer prononcierten Ablehnung. Der wissenschaftlichen Rationalisierung der Natur stellten sie subjektive Erfahrungen und das Unbewusste entgegen. Die Welt der Träume, die Betonung der Affekte, ein Hang zum Rätselhaften, Magischen und Mystischen wurden so wesentliche Charakteristika dieser Epoche. Häufige Sujets in Frankreich bildeten literarische Themen, das Exotische sowie tragische zeitgenössische Inhalte. Im Gegensatz zur damals weit verbreiteten Überzeugung von ihrer Berechenbarkeit und Beherrschbarkeit ist der Mensch der Natur in den Werken der Romantik hilflos ausgeliefert, häufig werden darin ihre ungebändigten Kräfte thematisiert.

Die beginnende Industrialisierung und Verstädterung wurden von vielen Künstlern dieser Zeit als lebensfeindlich erachtet. Die Stadtmoloche verkörperten ihrer Ansicht nach Lärm, Schmutz, Maßlosigkeit und Krankheit[6], während man sich nach einer tiefen Naturverbundenheit sehnte.

In stilistischer Hinsicht kam es zu einer Abkehr von der bisher vorherrschenden klassizistischen Harmonie und Symmetrie. Die Betonung der Subjektivität spiegelte sich darüber hinaus auch in einem freieren Duktus wider, wie er beispielsweise auch für Théodore Géricaults Malweise charakteristisch war.


Literatur:

[1] Baudelaire, Charles: III. Salon de 1846. In: Curiosités esthétiques, L'Art romantique et autres Œuvres critiques. Paris 1962.

[2] Anm.: Antoine-Jean Gros Werke bildeten den Übergang vom Klassizismus zur Romantik. Während er größtenteils Davids Frieskompositionen im Stil der Antike beibehielt, kennzeichnete seine Werke eine ungewöhnlich dynamische Anordnung der Figuren, die sich bei Géricault um ein Vielfaches gesteigert wiederfindet.

[3] Chenique, Bruno: Géricault und Delacroix – oder die Geburt der Romantik aus dem Geist der Revolution. In:  Wedekind, Gregor; Hollein, Max (Hgg.): Géricault. Bilder auf Leben und Tod. München 2013. S. 97–108, hier S. 97.

[4] Fornari, Bruno: Géricault oder die Grausamkeit des Alltäglichen. In: Wedekind, Gregor; Hollein, Max (Hgg.): Géricault. Bilder auf Leben und Tod. München 2013. S. 155–166, hier S. 166.

[5] Zitiert nach: Wozonig, Karin S.: Die Schwester Lenaus? Betty Paoli und der Weltschmerz. In: Cosgrove, Mary; Richards, Anna (Hgg.): Sadness and Melancholy in German-language Literature and Culture. Bd. 6. Edingburgh 2012. S. 71–94, hier: S. 73.

[6] Vgl. Graevenitz, Gerhart von: Die Stadt in der europäischen Romantik. Einleitung. In: Die Stadt in der europäischen Romantik. Stiftung für Romantikforschung. Bd. 11. Würzburg 2000. S. 7–16, hier S. 9 f.

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