Poetische Künstler-Hommage voll nostalgischer Sehnsucht

 

ONLY LOVERS LEFT ALIVE

(R: JIM JARMUSCH, USA/GB/DE/FR/GR/CY, 2013)

Genre: Comedy, Drama, Fantasy

Der misanthropische Musiker und Vampir Adam (Tom Hiddleston) lebt zurückgezogen in einer Villa in Detroit – fernab von den Zumutungen des 21. Jahrhunderts. Seine unsterbliche Liebe Eve (Tilda Swinton) hingegen wohnt im weit entfernten marokkanischen Tanger. Doch als sie eines Tages ahnt, dass ihr Geliebter mit dem Gedanken spielt, seiner Existenz ein Ende zu setzen, reist Eve kurzerhand zu ihm in die USA. Das Paar genießt die Zweisamkeit, bis eines Tages Eves impulsive Schwester Ava (Mia Wasikowska) auftaucht und das Leben der beiden gehörig auf den Kopf stellt…

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Das exzentrische Vampirpaar lebt am Rande der Gesellschaft. Die beiden sind Individualisten, die sich bewusst von der breiten Masse – den Menschen – distanzieren. Bereits ihre äußere Erscheinung ist mehr als ungewöhnlich: Man erkennt sie an der alabasterbleichen Haut, den wirren, struppigen Haaren und den farblich genau auf die Kleidung abgestimmten Lederhandschuhen, ohne die sie nie das Haus verlassen. Als die beiden Schwestern Adam eines Tages dazu überreden, einen Club zu besuchen, tragen sie trotz Dunkelheit Sonnenbrillen.

Der Klinikarzt, bei dem sich Adam als Arzt verkleidet seine Blutkonserven besorgt, tituliert ihn als „Dr. Caligari“ und „Dr. Strangelove“, was nicht nur sein filmhistorisches Wissen indiziert, sondern ebenso deutlich macht, dass er Adam für einen seltsamen ‚Freak‘ hält. Dabei verkörpert der Arzt selbst die gesellschaftliche Norm, was bereits die Namensgebung erahnen lässt: ‚Dr. Watson‘ bildet eine Anspielung an die gleichnamige Figur aus den berühmten Detektiv-Erzählungen „Sherlock Holmes“ von Conan Doyle. Der pragmatische und biedere Assistent stellt hier in vielerlei Hinsicht das Gegenstück zum exzentrischen Protagonisten dar, was sich auch auf Jarmuschs Film übertragen lässt. Während der Geldscheine zählende Blut-Dealer, der offensichtlich ein käuflicher und damit bestens an den Kapitalismus angepasster Bürger ist, in erster Linie nach Geld strebt, widmen Adam und Eve ihr Dasein ganz der Kunst.

Was auf den ersten Blick wie ein Vampirfilm erscheinen mag, ist in Wahrheit eine innige Hommage an die Künste und das sensible Seelenleben des Künstlers. Jim Jarmusch selbst erklärt: „Für unseren Film ist der Vampir eine resonierende Metapher – eine Möglichkeit, die tieferen Intentionen der Geschichte zu transportieren.“ So widmet Adam sein unsterbliches Dasein voller Hingabe der Musik, Eve der Literatur.

Old Souls

Dabei operiert Jarmusch nicht nur mit rein fiktiven Künstlerfiguren: Eves bester Freund ist kein geringerer als der Dramatiker Christopher Marlowe (John Hurt), der genuine Autor von Shakespeares Werken. Jim Jarmusch nimmt hiermit Bezug auf die berühmte ‚Marlowe-Theorie‘, die bereits seit 1819 immer wieder Diskurse entfacht, da sie besagt, dass der Name ‚William Shakespeare‘ lediglich ein Pseudonym des Dichters Christopher Marlowe war. Dieser sei der Ketzerei verurteilt worden, woraufhin er seinen Scheintod inszeniert und unter einem neuen Namen publiziert habe. Im Film spricht Eve äußerst amüsiert vom größten Skandal der Literaturgeschichte. In einer späteren Sequenz äußert Marlowe scherzhaft, er hätte Adam zu gerne früher gekannt – nämlich damals, als er gerade an „Hamlet“ schrieb – der zynische Melancholiker wäre dabei die perfekte Vorlage gewesen. Zum Schluss sehen wir in Marlowes Geheimzimmer ein durchdolchtes Porträt von seinem Erzfeind Shakespeare.

In Adams Wohnung zieren zahlreiche Künstlerporträts die Wände – darunter finden sich beispielsweise Franz Kafka und Luis Buñuel – allesamt alte Freunde von Adam. Besonders nahe standen ihm offenbar Lord Byron, den er liebevoll als „pompous ass” bezeichnet, sowie Mary Wollstonecraft, die „delicious“ gewesen sei. Außerdem soll er insgeheim das berühmte Streichquartett Franz Schuberts komponiert haben, wobei er ihm lediglich das Adagio überreicht habe – ein virtuoser Einfall des Regisseurs, denn das Originalautograph gilt bis heute als verschollen.

Insgesamt stellt ONLY LOVERS LEFT ALIVE mit seinen zahlreichen Referenzen auf bekannte Kunstwerke ein nostalgisches Mosaik von Zitaten dar. Diese intermediale Bezugnahme hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass der vielseitig interessierte Jarmusch selbst Literatur, Poetik und schließlich Film studiert hat. Der Soundtrack stammt gar zum Teil von seiner eigenen Band “Sqürl“.

 
 
 
 

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